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Corona: Auswirkungen auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche Menschen
Wir möchten diesen Beitrag vertiefen, Informationen bündeln und mithilfe eurer Beiträge offene Punkte klären. Habt ihr Anregungen, fehlen euch bestimmte Aspekte?
Welche Links und Angebote findet ihr hilfreich, welche spezifischen (LSBTI)-Fragen ergeben sich für euch? – Dann kontaktiert uns gerne unter presse@lsvd.de. Vielen Dank!
Inhaltsübersicht
1. Wie die Corona-Krise die LSBTI-Gemeinschaft betrifft
2. Beschränkungen: Ausgangssperren, Reisebestimmungen und Kontaktbeschränkungen
3. Das eigene Zuhause als sicherer Ort?
4. Gesundheitliche Situation von LSBTI
5.
Infrastruktur und Orte der Community
6. Gesellschaftliches Klima
7. Weiterführende Informationen und Hilfsangebote
1. Wie die Corona-Krise die LSBTI-Gemeinschaft betrifft
Corona – ohne Zweifel hat die Pandemie unser Leben seit fast zwei Jahren stark beeinflusst.
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen sind noch nicht vollständig absehbar. Durch die „vierte Welle“ hat sich die Lage zum Ende des Jahres wieder zugespitzt. Corona fordert von uns allen viel. Wir alle müssen uns schützen, uns einschränken und stehen als Gesellschaft vor erheblichen Unsicherheiten und großen Herausforderungen.
Zugleich verstärkt die Pandemie auch vorhandene Schwachstellen und Ungleichheiten. Die Auswirkungen von Corona und die politischen Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung betreffen nicht alle Menschen auf die gleiche Weise, sondern je nach individueller Situation unterschiedlich und mit unterschiedlicher Intensivität.
Hinzu kommt, dass die Politik und die Medien schon außerhalb von Krisenzeiten nicht alle Menschen gleichermaßen im Blick haben. Der Begriff der „Systemrelevanz“ etabliert neue und festigt bestehende Hierarchien. Wer und was als „wirklich“ wichtig gilt oder nur zweitrangig ist – das ist auch eine politische und gesellschaftliche Entscheidung mit existenziellen Konsequenzen.
- Viel zu selten werden die vielfältigen Auswirkungen von Corona sowie der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf verschiedene Gemeinschaften in der aktuellen Diskussion thematisiert.
- Viel zu selten werden spezifische Lebensumstände und Situationen berücksichtigt, um so zu einer zielgruppenspezifischen Förderung und Politik zu gelangen.
- Viel zu selten werden die zugrunde liegenden normativen Annahmen der politischen Antworten analysiert.
Oft fehlen aussagekräftige Daten, um die Erfahrungen und Analysen zu belegen. Inwieweit sich Corona und die politischen Reaktionen besonders auf LSBTI auswirken , ist in der aktuellen Debatte kaum ein Thema.
Zudem sind LSBTI keine einheitliche Gruppe . Ihre Erfahrungen (mit Diskriminierung) und damit auch, wie sie Corona erleben und wie sich die Pandemie auf ihren Alltag auswirkt, werden nicht nur durch ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität bestimmt.
Es macht einen Unterschied, ob jemand lesbisch, schwul oder bisexuell ist, in der Stadt oder auf dem Land lebt, jung oder alt ist, weiß ist oder eine andere Hautfarbe hat, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder um Asyl bittet, Kinder hat oder nicht.
Bedürfnisse und mögliche Probleme hängen auch davon ab, ob und wie man religiös geprägt wurde, welche soziale Herkunft man hat oder ob man mit einer Behinderung lebt.
Ein Beispiel: Menschen, denen eine asiatische Herkunft zugeschrieben wurde, waren vermehrt rassistischen Erfahrungen ausgesetzt.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verwies auf Äußerungen und Drohungen im öffentlichen Raum oder durch Nachbarn, die Verweigerung von Dienstleistungen oder das Tragen einer Schutzmaske nur im Kontakt mit ihnen. Auch dies ist eine Erfahrung von LSBTI, nämlich von LSBTI mit asiatischen Wurzeln.
Dieser Komplexität und Vielfalt der Erfahrungen von LSBTI gerecht zu werden, ist in diesem Beitrag nur begrenzt möglich. Er dient als Ausgangspunkt, ist aber nicht das Ende der Diskussion. Notwendig sind fortlaufende Debatten und vertiefende Analysen, da Corona und seine Folgen uns noch lange begleiten werden.
2. Beschränkungen: Ausgangssperren, Reisebestimmungen und Kontaktbeschränkungen
2.1 "Ideal der heilen Familie": Ausnahmen nur für leibliche Angehörige
Die Pandemie führte zu beispiellosen Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen.
In den entsprechenden Verordnungen wurde meist auf den gemeinsamen Haushalt Bezug genommen. Die Bundesländer berücksichtigten in ihren allgemeinen Ausnahmeregelungen zu den Kontaktbeschränkungen gleichgeschlechtliche Paare bzw. Lebenspartner.
Dennoch zeigten sich in einigen Fällen Heteronormativität und eine Vorstellung von Familie, die auf biologischer Verwandtschaft basiert.
Diese heteronormative Definition von nahestehenden Personen fand sich auch in den Ausnahmeregelungen zu den Kontaktbeschränkungen für Weihnachten 2020 wieder. In allen Bundesländern außer Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen galten die geplanten Ausnahmeregelungen für Weihnachten nur für den engsten Familienkreis und Verwandte in gerader Linie.
Wir kritisierten, dass dadurch nur leibliche Angehörige als wichtigste Bezugspersonen angesehen werden. Die Vorstellung der heilen Familie ignoriert sowohl die häufige häusliche Gewalt als auch die Diskriminierungserfahrungen, die LSBTI in ihren Herkunftsfamilien machen und weshalb sie den Kontakt abgebrochen haben.
Freundschaften als Wahlfamilie sind für LSBTI daher essenziell und überlebenswichtig. Ihnen sollte ein gemeinsames Weihnachtsfest verweigert werden, was die soziale Isolation von LSBTI verstärkt.
Wir erkennen die Notwendigkeit von Kontaktbeschränkungen an, forderten aber, dass alle Landesregierungen Regelungen treffen, die dem Stellenwert von Freundschaften als Wahlfamilie Rechnung tragen.
Ähnliche Ausnahmen wurden im Frühjahr 2020 für Einreisen in ein Bundesland, die Teilnahme an Beerdigungen und Trauungen oder den Besuch in Krankenhäusern , Alten- oder Pflegeheimen in vielen Bundesländern nur für den engsten Familienkreis bzw.
Verwandte in gerader Linie gemacht. Hier zeigt sich, wer als wichtige Bezugspersonen angesehen wird und wem man das Zusammensein nicht verweigert. Freundschaften, die besonders für LSBTI oft den Stellenwert einer Wahlfamilie haben, wurden hier nicht berücksichtigt.
Andere Bundesländer wählten offenere Formulierungen wie nahestehende Personen oder nannten eine maximale Anzahl an Personen , mit denen man sich treffen durfte.
Wir halten die Formulierungen über nahestehende Personen für inklusiver und gerechter gegenüber dem Stellenwert von Freund*innen für LSBTI.
2.2 Einreiseverbote: Fernbeziehungen und nicht anerkannte binationale gleichgeschlechtliche Paare und Regenbogenfamilien
Ebenfalls sehr belastend ist die Pandemie für Fernbeziehungen , da man nicht reisen darf oder nicht weiß, wann man sich wiedersehen kann.
Bürger*innen von Nicht-EU-Staaten durften lange nur in die EU einreisen, wenn ihre Familie in einem EU-Mitgliedsland lebt. Erst seit dem 10. August 2020 zählte in Deutschland auch ein*e unverheiratete*r Partner*in als Familienangehörige*r. Inzwischen müssen binationale Paare auch nicht mehr beweisen, dass es zuvor ein Treffen in Deutschland oder einen gemeinsamen Wohnsitz gab.
Viele EU-Staaten verhängten zudem nationale Einreiseverbote . Dies kann für binationale Paare und Regenbogenfamilien in einigen Staaten zu einem großen Problem werden, wenn Partner*innen dort nicht als Angehörige anerkannt werden.
In Polen galt das Einreiseverbot zwar nicht für ausländische Ehepartner und Kinder polnischer Staatsbürger*innen. Da im Ausland geschlossene Ehen und Lebenspartnerschaften dort aber nicht anerkannt werden, treffen diese Beschränkungen gleichgeschlechtliche Paare hart.
2.3 Fehlende soziale Kontakte: Einsamkeit, Isolation und Depressive Verstimmungen
Ausgangssperren, Kontaktverbote und die umfassende Schließung von Einrichtungen führten zu einem Rückzug aus dem öffentlichen Raum und einer generellen Verringerung sozialer Kontakte.
Eine Online-Umfrage unter 2.461 Personen eines Forschungsteams der Fachhochschule Münster und der Charité Berlin ergab, dass in der Pandemie immer mehr Menschen unter Einsamkeit leiden, was mit erhöhten Depressionen und geringerer Lebenszufriedenheit einhergeht. Ein hohes Risiko für Einsamkeit und Isolation haben neben Singles, Alleinlebenden und Menschen im Homeoffice auch LSBTI.
Asexuelle und Trans*-Menschen sind besonders gefährdet, wobei die Hälfte von ihnen einsam war.
Laut einer Umfrage vom Mai 2020 in Großbritannien leben 30 % der LGBT-Befragten allein, bei den über 50-Jährigen sogar 40 %. Eine andere britische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 52 % der schwulen Männer, aber nur 19 % der heterosexuellen Männer über 50 allein leben.
Für Deutschland gibt es keine Daten darüber, ob LSBTI überdurchschnittlich oft allein wohnen oder Single sind und daher durch die Kontaktbeschränkungen stark von Einsamkeit betroffen sind.
Ältere Menschen gehören generell zur Risikogruppe, da bei ihnen die Wahrscheinlichkeit für einen schweren oder gar lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf höher ist.
Ihnen wird dringend empfohlen, die Wohnung nicht zu verlassen oder den physischen Kontakt zu anderen Menschen zu vermeiden. Ältere LSBTI haben oft keine jüngeren Familienangehörigen , die sich um sie kümmern. Es ist fraglich, ob sie sich an allgemeine Initiativen der Nachbarschaftshilfe wenden.
Daher müssen sie für Einkäufe wie Lebensmittel nach draußen gehen, wo sie einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Ohne Partner*innen oder Mitbewohner*innen verstärken sich Einsamkeit und Isolation auch in dieser Gruppe. Freund*innen können nicht getroffen werden.
Waren Kontakte im öffentlichen Raum erlaubt, dann zu sportlichen Zwecken wie Spaziergängen mit Mindestabstand, was für immobilere oder schwerhörige ältere Menschen schwierig bis unmöglich ist.
In Senioreneinrichtungen und Pflegeheimen gab es ebenfalls Besuchsverbote oder Besuche waren nur engen Familienangehörigen gestattet.
Es liegen keine Daten vor, ob auch Freund*innen als nahestehende Personen zugelassen wurden. In den Einrichtungen waren LSBTI auch vor Corona meist unsichtbar und zielgruppenspezifische Angebote kaum vorhanden. Zwar gibt es einige positive Beispiele, aber insgesamt gibt es noch viel zu tun bei der Entwicklung inklusiver Leitbilder, der Sensibilisierung des Personals und beim Erkennen und Abbauen von Vorurteilen.
Durch Corona wird nun auch der Zugang zu LSBTI-Unterstützungsangeboten erschwert oder unmöglich gemacht , was besonders diejenigen betrifft, die es nicht gewohnt sind, digital in Kontakt zu bleiben oder denen die entsprechenden Geräte fehlen. Es zeigt sich, dass der Wohnort nicht immer ein sicherer Ort für sie ist.
3. Das eigene Zuhause als sicherer Ort?
3.1 Häusliche Gewalt
In der Studie „Coming-out und dann“ von 2015 berichtete die Hälfte der Befragten von Diskriminierungserfahrungen in der Familie. 17 % wurden beschimpft, beleidigt oder verlacht, jede*r Zehnte ausgegrenzt und ausgeschlossen.
Die dringende Aufforderung, zu Hause zu bleiben, kann junge LSBTI daher sehr belasten, besonders wenn sie ungeoutet sind oder die Eltern die sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität ihrer Kinder nicht akzeptieren. Ähnliches gilt für Studierende oder junge Erwachsene, die aus finanziellen Gründen zu ihren Eltern zurückkehren müssen.
Aufgrund von Corona müssen sie in unsicheren und belastenden Zeiten mehr Zeit zu Hause verbringen. Treffen mit unterstützenden Freund*innen oder Coming-out-Gruppen fallen aus.
Britische Sorgentelefone verzeichnen einen Anstieg der Anrufe von LSBTI, die mit missbräuchlichen Familienangehörigen und Partner*innen im Lockdown leben.
Laut dem US-amerikanischen Trevor Project können 40 % der LSBTI-Jugendlichen während der Pandemie nicht mehr so sie selbst sein wie zuvor. Mit 56 % berichten vermehrt Trans*- und nicht-binäre Jugendliche von dieser Einschränkung. Jede*r Zweite berichtet zudem von Angstsymptomen und Depressionen, unter den Trans*-Befragten ist es jede*r Dritte.
Für Deutschland liegen keine entsprechenden Daten vor. Einer Untersuchung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zufolge spüren zwei Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland während der Corona-Krise seelische Belastungen und berichten von einer verminderten Lebensqualität und einem geringeren psychischen Wohlbefinden.
Auch das Familienklima habe sich insgesamt verschlechtert, wobei vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien betroffen seien.
LSBTI-Jugendliche gehören daher zu denen, für die der LSVD einen Anstieg häuslicher Gewalt befürchtet. Bundesfamilienministerin Giffey muss auch diese Gruppe in den angekündigten Maßnahmen berücksichtigen und zielgruppengerechte Hilfsangebote müssen aufrechterhalten werden.
Gleichzeitig fällt die Schule als häufiger Diskriminierungsort in Zeiten des Lockdowns weg. Zudem haben LSBTI-Jugendliche oft eine höhere digitale Kompetenz. Sie sind länger online, aktiver in Foren, stellen häufiger selbst Inhalte ins Netz, bloggen und twittern mehr.
Unter Umständen kommen sie besser damit klar, sich nicht physisch mit Freund*innen treffen zu können als andere Jugendliche. Besonders im ländlichen Raum sind sie es gewohnt, keine anderen LSBTI zu treffen. Allerdings müssen sie damit rechnen, im Netz diskriminiert und belästigt zu werden.
Krisenzeiten führen immer auch zu Anspannungen und Stress und stellen Beziehungen auf die Probe. Dies gilt besonders, wenn man aufgrund des Lockdowns fast rund um die Uhr in der gemeinsamen Wohnung ist und niemanden anderen sehen kann. Beratungsstellen gingen daher frühzeitig davon aus, dass Fälle häuslicher Gewalt generell zunehmen werden.
Tatsächlich wurden seit Beginn der Corona-Krise in den Bundesländern Berlin, Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern mehr Fälle häuslicher Gewalt registriert. In Schleswig-Holstein und im Saarland ist den Angaben der Ministerien zufolge genau wie in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und den anderen Ländern bislang kein Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt verzeichnet worden oder es lagen zum aktuellen Zeitpunkt keine aussagekräftigen Daten vor.
Aufgrund fehlender sozialer Kontakte könnte die Dunkelziffer höher sein, da Anzeigen oft von Dritten erstattet werden. Das Innenministerium in Schleswig-Holstein wies darauf hin, dass die Pandemie das Anzeigeverhalten stark beeinflusse: So habe es in den vergangenen Monaten weniger Sozialkontrolle durch Schule, Freunde, Verwandte, Ärzte und Betreuer gegeben.
Unabhängig davon werden Daten zu häuslicher Gewalt bzw. Beziehungsgewalt in der Regel heteronormativ erhoben bzw. veröffentlicht, sodass es keine Zahlen darüber gibt, wie oft LSBTI häusliche Gewalt erfahren, sei es durch Partner*in, Eltern, Geschwister oder Mitbewohner*innen.
3.2 Sammelunterkünfte für Geflüchtete
Flüchtlingsunterkünfte werden in der Coronakrise vernachlässigt. Geflüchtete erhalten kaum verständliche Informationen über Corona und die Schutzmaßnahmen. Zudem ist es oft unmöglich, in den Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten, was die Atmosphäre weiter anspannt.
Abgeriegelte Unterkünfte werden zum Gefängnis und gefährlich für vulnerable Gruppen wie LSBTI.
Zum einen verschärft sich deren soziale Isolation, da Unterstützungs- und Bestärkungsnetzwerke wegfallen. Zum anderen steigt die Gefahr, Opfer von Anfeindungen zu werden, da es bereits vor Corona zahlreiche Berichte gab, dass LSBTI in Aufnahmeeinrichtungen von anderen Flüchtlingen, dem Wachpersonal oder Mitarbeitenden eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht wurden.
Bei erhöhtem Unterstützungsbedarf fallen gleichzeitig Angebote weg oder Ansprechpersonen in den Unterkünften sind im Homeoffice.
Die Bedürfnisse von (queeren) Geflüchteten müssen in den Hilfe- und Unterstützungssystemen im Kampf gegen Corona berücksichtigt werden. Statt in Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften sollten LSBTI-Geflüchtete als vulnerable Gruppe dezentral in größeren Städten und Ballungsräumen untergebracht werden, um den Zugang zu Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen zu gewährleisten.
In den Unterkünften müssen Gewaltschutzkonzepte für Gruppen mit erhöhtem Diskriminierungsrisiko etabliert bzw. aufrechterhalten werden. Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Flüchtlinge keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte.
3.3 Obdach- und wohnungslose Menschen haben kein Zuhause
Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren 2018 rund 678.000 Menschen in Deutschland wohnungslos, davon 50.000 obdachlos, darunter rund 19.000 Kinder und minderjährige Jugendliche. In dieser Zählung sind Geflüchtete jedoch nicht enthalten.
Es gibt keine Daten darüber, ob und welche gesellschaftlichen Gruppen besonders von Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland betroffen sind oder welche Erfahrungen obdachlose LSBTI mit den vorhandenen Unterstützungsangeboten und informellen Netzwerken auf der Straße machen.
Die britische Organisation Albert Kennedy Trust kam zu dem Ergebnis, dass sich in Großbritannien fast jede*r vierte Obdachlose als queer identifiziert. In den USA kommen Erhebungen regelmäßig zu dem Schluss, dass besonders LSBTI-Jugendliche überproportional von Obdach- oder Wohnungslosigkeit betroffen sind.
Obdachlose haben ein hohes Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Viele sind durch das jahrelange Leben auf der Straße körperlich geschwächt oder haben chronische Krankheiten. Ohne Obdach oder eigene Wohnung kann man schlicht nicht zu Hause bleiben. Auch Hygieneregeln können kaum befolgt werden, da regelmäßiger Zugang zu sanitären Anlagen fehlt.
Die ohnehin prekäre Lage verschärft sich in Zeiten von Corona drastisch. Viele Tafeln, Suppenküchen, Unterkünfte und Notschlafstellen mussten zwischenzeitlich schließen.
Daher braucht es gerade in der Coronakrise die sichere Unterbringung von obdachlosen (queeren) Menschen, damit sie zumindest die Möglichkeit bekommen, grundlegende Hygieneregeln einzuhalten und sich so zu schützen.
4. Gesundheitliche Lage von LSBTI
Das Thema LSBTI und Gesundheit rückt zunehmend in den Fokus. Bislang lassen sich aufgrund der lückenhaften Datenlage kaum Aussagen über die allgemeine gesundheitliche Lage und die Ressourcen von LSBTI in Deutschland treffen.
Der LSVD fordert daher seit langem einen LSBTI-Gesundheitsbericht und verstärkte Forschung über das Gesundheitsverhalten und die Gesundheitsversorgung von LSBTI. Wir wissen beispielsweise nicht, ob LSBTI hierzulande vermehrt an chronischen Erkrankungen, Lungenerkrankungen oder Asthma leiden und somit ein erhöhtes Risiko für einen schwerwiegenden Verlauf von Corona hätten.
US-amerikanische Studien legen dies für die dortigen LSBTI-Communities nahe. Es gibt jedoch keine Zahlen, ob LSBTI überdurchschnittlich häufig an Corona erkranken und an den Folgen sterben.
Wir wissen inzwischen etwas mehr über Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen. Das Verhältnis von LSBTI zur Medizin ist historisch betrachtet schwierig und geprägt durch die teilweise bis heute anhaltende Pathologisierung.
Laut dem LGBTI-Survey 2020 der EU-Grundrechteagentur fand für 16 % der über 16.000 Befragten aus Deutschland der letzte Diskriminierungsvorfall bei der Inanspruchnahme sozialer Dienste bzw. Gesundheitsdienste statt.
Die Erfahrung bzw. Erwartung von Diskriminierung bei der Gesundheitsversorgung und den Gesundheitsdiensten kann dazu führen, dass Präventionsangebote nicht angenommen und medizinische Behandlungen hinausgezögert oder vermieden werden.
Besonders Trans*- und Inter*-Befragte berichten, Gesundheitsdienste und medizinische Behandlungen zu meiden. Zudem kommt eine große britische Studie zu dem Ergebnis, dass LSBT diskriminierende Erfahrungen im Gesundheitswesen machen, die dazu führen, dass 14 % der Befragten aus Angst vor Diskriminierung bereits eine medizinische Behandlung vermieden haben.
Dies gilt besonders für Trans*-Befragte, 18- bis 24-Jährige, LGBT mit Behinderungen und queere People of Color (POC).
Es gibt eine große Angst vor stationärer Behandlung aufgrund fehlender Sensibilität oder mangelnder Kenntnisse über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den Regelstrukturen der Gesundheitsversorgung.
Zudem werden die strukturellen Lücken in der psychosozialen und gesundheitlichen Versorgung offenkundig, wenn die Netzwerke der Selbsthilfe nicht aufrechterhalten werden können.
Vor diesem Hintergrund negativer Erfahrungen stellt sich die Frage, inwieweit das Testangebot oder auch eine frühzeitige Behandlung von LSBTI angenommen werden.
Andernfalls drohen gravierendere Krankheitsverläufe.
4.1 Trans* Personen
Demütigende Zwangsberatungen, Gutachten, ärztliche Atteste und Gerichtsverfahren - für die rechtliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität nach dem Transsexuellengesetz (TSG) müssen Trans*-Personen noch immer Gutachten von zwei Sachverständigen vorlegen, die bestätigen, dass sie wirklich trans* sind.
Diese Begutachtungsverfahren und das gesamte Verfahren vor dem Amtsgericht zur rechtlichen Anerkennung verzögern sich coronabedingt.
Ausfallende Beratungen und Gruppentreffen, ausgesetzte Therapien und Verfahren zur Vornamens- oder Personenstandsänderung oder auf unbestimmte Zeit verschobene geschlechtsangleichende Operationen - der Bundesverband Trans* betont, dass Trans*-Personen von den negativen Auswirkungen der Covid-19-Vorsichtsmaßnahmen besonders stark betroffen sind.
Ebenso sind wohnungslose Trans*-Personen, Trans*-Personen mit Vorerkrankungen, Trans*-Personen mit Mobilitätseinschränkungen, Trans*-Geflüchtete, Trans*-Sexarbeiter_innen und ältere Trans*-Personen u. U. stark betroffen. Dies kann sehr belastend sein und sich stark auf die psychische Gesundheit auswirken.
Oft haben Betroffene jahrelang auf den Termin für geschlechtsangleichende Operationen hingearbeitet und sich die Kostenübernahme durch die Krankenkassen erkämpfen müssen. Die Wichtigkeit dieser Eingriffe für Trans*-Personen spiegelt sich nicht in der offiziellen Einstufung als nicht lebensnotwendig wider, wie Aktivist Max Appenroth betont.
Die ärztliche Versorgung mit Hormonen oder Check-ups sei teilweise erschwert, weil viele Praxen sich im Ausnahmezustand befänden. Zudem sei die Sorge vor Versorgungsengpässen mit Hormonpräparaten aufgrund unterbrochener internationaler Lieferketten groß.
Die Pandemie beeinträchtigt folglich die psychosoziale und medizinische Versorgung von Trans*-Personen in Deutschland erheblich, wie auch die Zwischenergebnisse der Studie TransCareCovid-19 belegen. Die Studie zielt darauf ab, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Gesundheit und die Gesundheitsversorgung von Trans*- und Transsexuellen zu erfassen.
Das Projektteam besteht aus Andreas Köhler & Timo Nieder vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Deutschland sowie aus Annette Güldenring, Westküstenklinikum Heide und Bundesverband Trans* (BVT*). Als Kooperationspartner für das deutschsprachige Survey konnten der BVT* und die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e.V.) gewonnen werden.
Inzwischen sind die ersten Zwischenergebnisse veröffentlicht: Von den über 1.200 Befragten aus dem deutschsprachigen Raum berichteten 15 %, dass ihnen OP-Termine abgesagt wurden, weitere 17 % befürchten eine Absage bevorstehender Operationen. Bei 24 % ist die Nachsorge einer Operation beeinträchtigt und 44 % befürchten, dass der Zugang zu Hormonen eingeschränkt werden könnte.
Eine Studie aus den USA kommt zudem zu dem Schluss, dass Trans*-Erwachsene ein höheres Risiko für gefährliche Krankheitsverläufe von Covid-19 haben, da unter ihnen überproportional hohe Raten von Asthma, Diabetes, Herzkrankheiten oder HIV vorliegen. Allerdings kommt die Deutsche AIDS-Hilfe zu dem Schluss, dass Menschen mit HIV unter wirksamer HIV-Therapie nach aktuellem Kenntnisstand nicht in besonderer Weise durch Corona gefährdet seien.
Die Politikwissenschaftlerin und Autorin von „Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung“ Felicia Ewert weist darauf hin, dass scheinbar harmlose Alltagsmomente für Trans*-Personen mit massivem Stress einhergehen. Das in Coronazeiten erwünschte bargeldlose Bezahlen kann für Trans*-Personen zu einem Sicherheitsproblem und Zwangsouting werden, wenn der Name auf der EC-Karte nicht mit dem Geschlechtsausdruck übereinstimmt.
„Was uns richtigerweise vor Ansteckung und Übertragung des Virus schützen soll, zum Beispiel bargeldloses Zahlen an der Supermarktkasse, kann an anderen Stellen unsere körperliche Sicherheit einschränken. Noch vor vier Jahren musste ich Erklärungen abgeben, weshalb ich beim Bezahlen an der Kasse zu meiner EC-Karte noch zusätzlich einen Ergänzungsausweis vorzeigte, der Auskunft über mein Geschlecht gibt, solange noch keine Personenstandsänderung nach dem „Transsexuellengesetz“ stattfand.
(...) Diese Situationen sind Alltag im Leben von Trans*-Personen ohne korrekte Dokumente. Sie stellen eine Gefahr dar, weil wir nicht einfach auf respektvollen Umgang vertrauen können, sondern jedes Gegenüber anders reagieren kann. Beschimpfungen, angewiderte Blicke, grenzüberschreitende Kommentare oder potenzielle Polizeigewalt sind mögliche Folgen."
4.2 Mentale Gesundheit
Die wenigen vorhandenen (internationalen) Studien zur mentalen Gesundheit und zum Wohlbefinden kommen durchweg zu dem Ergebnis, dass LSBTI generell überdurchschnittlich Depressionen, Angststörungen oder Selbstmordgedanken haben.
So berichten in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2017 Lesben, Schwule und Bisexuelle doppelt so oft wie heterosexuelle Befragte, dass bei ihnen schon einmal eine depressive Erkrankung diagnostiziert wurde. Die Studie der EU-Grundrechteagentur kommt zu dem Ergebnis, dass sich 16 % der über 16.